Autor: Meinrad Kofmel / erschienen in: CoffeeBreak
Bei keinem anderen Bühnenkünstler ist die Digitalisierung in der Zauberei so omnipräsent wie bei Simon Pierro. Der sympathische Deutsche erreicht mit seiner Magie ein Millionenpublikum und setzt dabei auf einen faszinierenden Cocktail aus Magie und Technologie, Innovation und Illusion. Den Anfang nahm die Geschichte, als er einst als junger Tourist im »Big Apple« übel abgezockt wurde …
New York, Sommer 1993. Die Sonne wringt gnadenlos den Schweiß aus den Menschenmassen, die sich, von der Aussichtsplattform des Rockefeller Centers aus betrachtet, zähflüssig wie Lava durch die Verkehrsarterien zwischen den Wolkenkratzern bewegen. Die Luft steht. Das einzig Windige an diesem Tag sind die Hütchenspieler an der Straßenecke. Ein fünfzehnjähriger Junge aus dem deutschen Waldbronn macht Urlaub mit seiner Familie. Hochkonzentriert folgt er mit Argusaugen den Bechern. Als sie aufgereiht stillstehen, tippt er selbstbewusst auf jenen rechts. Pech gehabt. Der kleine Ball steckt unter dem linken. Noch einmal. Wieder Pech. Auch das dritte sowie das vierte Mal. Dann gibt er auf. Zwanzig Dollar seines Ferienbudgets (»damals ein halbes Vermögen«, wie er betont) kostet ihn die Einsicht, dass es selbst der schärfste Blick nicht mit der Fingerfertigkeit eines Taschenspielers aufnehmen kann. Wenn er doch bloß auch diese Geschicktheit besäße! Von seiner Schwester wünscht er sich zum Geburtstag ein Buch über Zauber- und Kartentricks. »Um weitere Ressourcen zu schonen, ließ ich es mir schenken«, erinnert er sich schelmisch lächelnd. Er legt die Lektüre kaum mehr aus den Händen, und wenn, dann nur, um wie ein Besessener die Tricks zu üben. Der Junge heißt Simon Pierro und ist ab dato vom Wunsch beseelt, dereinst Zauberkünstler zu werden.
Schnell wird aus dem Zauberlehrling ein wahrer Meister, dessen Finger flinker sind als das menschliche Auge. Nicht nur das wohlgesinnte Publikum aus der Familie, sondern auch kritische Freunde und Bekannte macht er nach und nach baff. Für seine Darbietungen verflicht er die Tricks gekonnt in Geschichten. »Später, während meines Studiums, konnte ich ohne den Druck des Profi-Magier-Daseins sehr viel experimentieren.« Harte Arbeit, die erste Erfolge zeitigt. Mit seiner modernen und schnellen Bühnenshow »The American Dream – vom Tellerwäscher zum Millionär« setzt er virtuos einen viel beachteten Kontrapunkt zum klassischen Klischee vom Magier mit Frack und Zylinder. Für seine innovative Interpretation der faszinierenden Kunst adelt ihn der Magische Zirkel von Deutschland zum Magier des Jahres 2002. Es folgen die Deutsche Meisterschaft und die Vize-Weltmeisterschaft der Fédération Internationale des Sociétés Magiques. Ein weiterer Ritterschlag ist der Siegfried & Roy Award, der ihm 2004 in Las Vegas überreicht wird. Parallel dazu legt er den Grundstein für eine »seriöse Laufbahn« und schließt an der Universität Karlsruhe das Diplom zum Wirtschaftsingenieur mit Fachrichtung Informatik ab.
Die Liebe zur Zauberei verbindet er gekonnt mit seinem technischen Know-how. Er setzt Projektionen auf Leinwänden und Screens ein. Damit sorgt Pierro für Furore. Vom Geheimtipp steigt er in die oberste Liga der Zauberkünstler auf. Fernseh-Urgestein Frank Elstner lädt ihn in seine Sendung »Menschen der Woche« ein, wo er den Machern der Samstagabendkiste »Verstehen Sie Spaß?« auffällt. Jung, dynamisch, frisch, charmant und natürlich, exakt so stellen sie sich einen magischen Lockvogel für ihre Streiche mit versteckter Kamera vor. Er packt die Chance beim Schopf und verblüfft schließlich in über zwanzig Episoden ahnungslose Passanten mit seinen Zauberstreichen. Durch sein Einfühlungsvermögen versteht er es, spontane Situationskomik zu schaffen, ohne je seine »Opfer« zu blamieren. Er ist höchst professionell, eloquent und telegen. So sehr, dass ihn die namhaftesten Fernsehanstalten Deutschlands immer wieder gern engagieren. Hinter den Fernsehkulissen wird Simon Pierro zum gefragten Berater. Unter anderem entwickelt er für Heidi Klums »Germany’s Next Topmodel« eine Illusion.
Abseits der Bühnen schreitet die Digitalisierung rasend schnell voran und fräst vielen traditionellen Zauberkünstlern tiefe Sorgenfalten ins Gesicht. Sie wähnen sich durch das Aufkommen von YouTube, HD-Kameras, iPhones und iPads vor dem sicheren Untergang. Klassische Zauberer stehen beinahe schon auf der WWF-Liste der bedrohten Arten. Der Grundtenor in der Gilde erklingt jammernd in schwerem Moll. Die Hoppelhasen seiner Berufskollegen werden langsam hüftsteif und die weißen Tauben flügellahm, als Simon Pierro die Magie neu erfindet und seine eigene Kunstform erschafft: die iPad-Zauberei.
Eine nüchterne Betrachtung der veränderten Gegebenheiten führt ihn zum Entschluss, einen Paradigmenwechsel zu vollziehen. »Als ich mich vor zehn Jahren mit Kollegen unterhalten habe, waren die Meinungen gemacht. YouTube – furchtbar! Da werden all unsere Zaubertricks verraten. Hochauflösende HD-Kameras erlauben es einem, jeden Zaubertrick Bild für Bild anzugucken, zu durchschauen. iPhones und iPads lenken das Publikum ab, weil sie auf den Bildschirm starren, statt sich auf die Bühne zu konzentrieren. Ich habe gedacht, das Internet kann ich nicht verschwinden lassen. Also habe ich mir gesagt, ich mache etwas mit dem iPad. Mein allererstes Video hat in der ersten Woche bereits drei Millionen Aufrufe gehabt. Dank HD-Kameras kann ich in den großen Stadien vor Zehntausenden Menschen auftreten, denn gestochen scharfe Bilder machen Close-up-Effekte selbst vor großem Publikum möglich. Das iPad ist mein Markenzeichen geworden. Insofern habe ich das Glück gehabt, früh genug etwas auszuprobieren und die Chance der Veränderung zu nutzen.« YouTube erweist sich für Pierro als ideale digitale Bühne, »mein virtuelles Las Vegas«, wie er es liebevoll nennt, und über welches er mittlerweile mehr als 100 Millionen Menschen erreicht.
Der Entertainer gibt sich betont bescheiden. Tatsächlich hat er mit seinem klugen Schachzug Grenzen verschwinden lassen und sich ein potenzielles Milliardenpublikum rund um den Globus geschaffen. Entsprechend erfreut sich der iPad-Zauberer auf allen Kontinenten größter Beliebtheit. Die scheinbar spielende Leichtigkeit, mit der er die reale mit der virtuellen und der Gaming-Welt verschmilzt, löst Begeisterungsstürme aus. Rückenwind liefert dabei auch der Auftritt in der legendären Ellen DeGeneres Show, wo er mit seinem Selfie-Trick die sympathische Quasselstrippe vollkommen sprachlos macht. Entzückt springt sie von ihrem Sessel auf. Das Einzige, was ihr in diesem Moment noch über die Lippen geht, ist ein erstaunt begeistertes »Whaaat!?«. Fast 24 Millionen Aufrufe verzeichnet das entsprechende Video auf YouTube aktuell. Eben noch auf Asientournee, schlendert Pierro schon wieder in Los Angeles den Walk of Fame entlang und frappiert Passanten mit Straßenzauberei. Clips davon postet er für seine Fangemeinde auf den Social-Media-Kanälen. Dabei lässt er sich nicht von einem fixen Veröffentlichungsplan unterjochen. »Ich produziere immer nur dann neue Inhalte, wenn ich etwas zu erzählen bzw. vorzuführen habe.«
Apropos Publikum: Simon Pierro beschränkt sich nicht einzig darauf, Artgenossen zu bezaubern. Wie verblüfft Hunde und Schimpansen darauf reagieren, wenn Leckerli, Erdnüsse oder Bananen plötzlich in seinem iPad verschwinden, um kurz darauf wie von Geisterhand wieder hervorgezaubert zu werden, ist aktuell der große Renner auf seinem YouTube-Kanal. »Menschen lieben Tierfilmchen. Was liegt für mich also näher, als meine Zauberei um die Dimension ›verblüfftes Tier‹ zu erweitern?« In dem, was den einen ein Lächeln ins Gesicht zaubert, erkennen andere die Virtuosität und Innovationskraft des Meisters der Illusionen. Und es zeigt auf: Eine wirklich gute Idee braucht weder gigantische Bühnenbauten noch spektakuläre Pyrotechnik zur Ablenkung. Sie besticht durch Kleinheit, durch Einfachheit, durch Meisterschaft in der Ausführung.
Der Wahlmünchner ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Menschen oder Firmen erfolgreich neuen Herausforderungen stellen können. Er beweist, dass einen moderne Technologien weder überholen noch obsolet machen. Man muss sie einzig zu seinem Vorteil zu nutzen wissen. »Die Digitalisierung hat fast alle Branchen erfasst, und neue Technologien verändern die Welt in vielen Feldern schneller, als der Mensch sich selbst verändert. Wir stehen vor der Herausforderung, uns neu zu erfinden und mit disruptiven Innovationen umzugehen.« Diese Botschaft vermittelt er nicht nur als Magier, sondern auch als Vortragsredner. Seine Stimme an Firmenveranstaltungen und Symposien hat Gewicht, beweist er doch auch bei diesen Auftritten ein subtiles Gespür für die optimale Mischung von Inhalt und Form und präsentiert seine Erfolgsgeschichte mit einem Cross-Over aus Magie und Technologie, Innovation und Illusion.
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